Ich hatte immer das Gefühl, mir selbst durch Verzicht etwas beweisen zu können. Ich war schrecklich stolz, wie diszipliniert, wie willensstark, wie standhaft ich doch sein konnte. Ja, wie unglaublich eisern ich doch war, all den sündhaften Versuchungen zu widerstehen.
Während ich die Speisekarte im Café Hilde durchblättere, läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Nicht, weil ich Hunger hätte. Nein, nach einer großen Schüssel Porridge mit Krokant um 07:30 Uhr, einem Mandelhörnchen um 08:30 Uhr und dem großen Nougatring auf dem Weg zum Hilde, müsste ich eigentlich randvoll sein. Bin ich auch, und trotzdem kann ich mich nicht bremsen.
Gibt es ihn wirklich? Gibt es diesen Zustand, dass der Körper, wenn er sehr wenig Nahrung bekommt, in den Hungermodus schaltet und alles versucht, uns vor dem sicheren Hungertod zu bewahren?
Früher dachte ich, dass mein falsches Essverhalten einfach nur mangelnde Disziplin sei. Einfach nur weniger essen, einfach nur noch gesunde Sachen auf den Speiseplan setzen, einfach aufhören, wenn es genug ist. – Weder war es irgendwann mal einfach, noch jemals genug.
Warum erreichen mich so viele Nachrichten, dass ich mich nicht über mich ärgern soll, dass ich es auch mal „einfach laufen lassen“ darf, dass es nicht immer gelingen muss und dass meine Erwartungen und Anforderungen an mich selbst viel zu streng seien?